“Barbara Müller” ist kein Pseudonym, das möglichst allerweltlerisch klingen soll. Als Medienpädagogin lehre ich an der Pädagogischen Hochschule Wien und unterrichte an einer Wiener Schule. Nebenbei bin im Fachbereich Medientechnik in der Erwachsenenbildung tätig. Meine große Leidenschaft gilt Filmen – besonders den animierten Streifen. Um eines vorweg zu schicken: Ich liebe Disney-Filme. Wahrscheinlich auch, weil ich mit diesen Bildern groß geworden bin. Trotzdem hat mich schon im zarten Alter von 6 Jahren eine entscheidenen Frage umgetrieben: Warum müssen eigentlich immer “die Männer die Frauen retten”?” Dass es sich dabei um paternalistische Wahrnehmungsmuster handelt, erklärt ihr mal einer Sechsjährigen … wobei … so schwer wäre das gar nicht.

Reziprozitätstest

Der Reziprozitätstest klingt kompliziert und ist denkbar einfach. In meiner Diplomarbeit “Das weibliche Böse – Analyse der Antagonistinnen in Disney-Animationfilmen von 1937 bis 2022” habe ich versucht, eine durchaus allgemeinbekannte Idee erstmals wissenschaftlich zu beschreiben, um gängige Stereotypen sichtbar zu machen. Denn wer kennt ihn nicht, den Ausspruch: “Stell dir das mal umgekehrt vor!

Hier der wissenschaftlich formulierte Text:

Da eine Einordnung von Filmfiguren in Geschlechterstereotype nicht eindeutig möglich erscheint, stellt sich die Frage, wie geschlechts-spezifische Zuschreibungen und/oder Klischees in der Figurenzeichnung überhaupt identifiziert werden können. Der vielzitierte und bekannte „Bechdel-Test“ wird häufig herangezogen, um die Präsenz und Stereotypisierung von weiblichen Figuren in Spielfilmen zu messen – jedoch erhebt dieser lediglich, ob die weiblichen Figuren 1) einen Namen haben, 2) miteinander sprechen und 3) über etwas anderes, als einen Mann sprechen (vgl. Bechdel Test Movie List, online) und hat demnach wahrscheinlich weniger Aussagekraft, als ihm zugeschrieben wird. Um dennoch einen Ansatz zu liefern, inwiefern eine Filmhandlung oder Figurenzeichnung Geschlechterstereotype bedient, schlage ich vor, einen beliebigen Text auf Hinweise zu untersuchen, die das jeweilige Geschlecht der Figur erkennen lassen und die Passagen zunächst zu markieren. Hierbei werden Passagen, die sich nicht ins geschlechtliche grammatikalisch/sprachliche Gegenteil kehren lassen, durchgestrichen. Wörter, die sich gegengeschlechtlich formulieren lassen, werden unterstrichen. Die Auswahl des Textes ist hierbei frei. Nachfolgend wurde der Text, den Wikipedia zu Schneewittchen und die sieben Zwerge bereitstellt, wie beschrieben bearbeitet:

Das schöne, junge Schneewittchen wächst als Dienstmagd am Hof ihres Vaters und ihrer neidischen Stiefmutter auf. Diese kann den Gedanken nicht ertragen, dass ihre Stieftochter immer schöner wird und damit auch schöner als sie. Deshalb beauftragt sie einen Jäger, das Mädchen in den Wald zu bringen und dort zu töten. Er geht mit ihr dorthin, bringt den Mord an der unschuldigen Schönheit jedoch nicht übers Herz und lässt sie ins Dunkel des Waldes fliehen. Schneewittchen irrt voller Angst durch die Nacht und schläft schließlich ein. Sie erwacht am nächsten Morgen im Kreise der Tiere des Waldes, die sie zu einem kleinen Häuschen führen. Hier findet sie Hinweise auf sieben Zwerge vor, die jedoch die Ordnung und den Hausputz schon länger vernachlässigt haben.
(Text aus: Wikipedia, online)

Anschließend an diese Erhebung wird der Text umgeschrieben und falls möglich jedes Wort bzw. jede Passage durch das grammatikalische Gegenteil ausgetauscht, was beim vorliegenden Text zu folgendem Ergebnis führt:

Schneewittchen wächst als Diener am Hof seiner Mutter und seines neidischen Stiefvaters auf. Dieser kann den Gedanken nicht ertragen, dass sein Stiefsohn immer schöner wird und damit auch schöner als er. Deshalb beauftragt er eine Jägerin, den Jungen in den Wald zu bringen und dort zu töten. Sie geht mit ihm dorthin, bringt den Mord an dem unschuldigen Schönen jedoch nicht übers Herz und lässt ihn ins Dunkel des Waldes fliehen. Schneewittchen irrt voller Angst durch die Nacht und schläft schließlich ein. Er erwacht am nächsten Morgen im Kreise der Tiere des Waldes, die ihn zu einem kleinen Häuschen führen. Hier findet er Hinweise auf sieben Zwerginnen vor, die jedoch die Ordnung und den Hausputz schon länger vernachlässigt haben.

Reziprok formulierter Text

Ampel-System

Das Blöde an Stereotypen ist: Sie sind in hohem Maße änderungsresistent – und sie werden vermutlich schon sehr früh ausgebildet. Mit der Fem-Ampel habe ich mit Gleichgesinnten ein System entwickelt, das, ausgehend von Stereotypen in Kinderfilmen, bestimmte Parameter erhebt: Etwa, wie viele weibliche Figuren in einem Film vorhanden sind. Ob die Protagonistin erwerbstätig ist bzw. unbezahlter (Care-)Arbeit nachgeht. Ob Antagonist:innen einem sogenannten “Queering” unterworfen sind. Ob die Hauptfigur die ihr gestellten Aufgaben alleine – oder mithilfe männlicher Helfer – bewältigt. Die vielfältigen Parameter werden abschließend gewichtet und ergeben den Fem-Ampel-Score.

Disclaimer

Das Ziel dieser Plattform ist es nicht, die Freude am Filmerlebnis zu trüben. Was ihr anseht oder nicht anseht – und was eure Kinder ansehen oder nicht ansehen – bleibt eure Entscheidung. Das Anliegen dieser Plattform ist es, die Wahrnehmung Themeninteressierter für schädlich-stereotype Darstellungen, die nach wie vor eher Mädchen betreffen, zu schärfen. Wie allgemeinverständlich angenommen werden kann, neigt gerade Kinderliteratur zu einer Einteilung in „gute“ und „böse“ Figuren – vermutlich, um kindlichen Rezipient:innen die Ausbildung eines ethischen Kompasses zu erleichtern. Aus meiner Sicht können die Disney-Filme, die ich selbst von Herzen geliebt habe, nach wie vor nützlich sein, weil sie – genau wie Märchen – moralische Botschaften vermitteln.

Werden zugunsten der leichteren Transportfähigkeit dieser moralischen Botschaften aber Minderheiten und/oder unterdrückte Personengruppen instrumentalisiert, bildet sich bei Zuseher:innen schlimmstenfalls eine Haltung aus, dass Menschen, die von der “Norm” abweichen, gefährlich sind. Und wenn Filme nicht die – für hauptsächlich Frauen – alltagsbestimmenden Realitäten von Ehe, Geburt und Mutterarbeit animieren, sondern stattdessen den Traum der “einzig wahren Liebe” idealisieren, internalisieren Mädchen – aber auch Jungen – schon früh verklärte und unrealistische Geschlechterrollen und Beziehungsvorstellungen. Im Prinzip ist es ganz einfach: Wir müssen die stereotype Darstellung erkennen können, um vor allem mit kindlichen Rezipient:innen aktiv darüber zu sprechen zu reflektieren. Das ist die Mission von femmedia.at: Verdeckte Narrative und Stereotypen sichtbar zu machen.

Liebe Grüße, Barbara Müller barbara@femmedia.at